Kunst aus der Dose

Wenn Jana und Christian mit buntenen Farben Hauswände besprühen, ruft niemand die Polizei. Selbst ordnungsliebende Bürger hören auf zu meckern. Schließlich verstehen die beiden ihr Handwerk. Jana Lamprecht und Christian Wahle sind Graffiti-Künstler. Für ihr Können erhalten sie statt einer Anzeige von der Polizei sogar richtig Geld. Denn die Profis mit den Künstlernamen Daisy und Lake leben von der Arbeit mit der Spraydose.

 

"Das traut uns kaum jemand zu", ärgert sich Christian. Der 21-Jährige ist schon seit mehr als fünf Jahren "im Beruf'. Begonnen hat er seine "Karriere" mit dreizehn - als typischer Sprayer. Damals zog er mit Gleichgesinnten durch Berlin, immer auf der Suche nach freien Flächen. Bald kamen erste Aufträge.

 

Schon als 16-Jähriger besprühte er mit Jana das Haus eines Raumausstatters in Rudow. Während seines Zivildienstes war Christi an in einer Rheinsberger Jugendherberge für den Küchendienst eingeteilt.  Nebenher verschönerte er sämtliche Wände. Die 23-jährige Jana kam nicht erst über die Spraydose zur Kunst. Schon als Kind belegte sie Malkurse. Als Jugendliche wurde auch sie von dem "Sprühvirus" angesteckt. Mit vierzehn verzierte sie gratis einen Kindergarten im Plänterwald mit Märchen- und Comicfiguren. Kurz darauf schmückte sie in Lübeck zwölf Bauwagen mit überdimensionalen Portraits von Goethe, Schiller und Beethoven. Eine Werbeaktion eines Lübecker Theaters.

 

Seit fünf Jahren sind Jana und Christi, die sich in der Schule kennen gelernt haben, das ideale Team. Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Büros werden in Aquarien verwandelt und triste Fabrikmauern in überdimensionale Leinwände. In einem HochhausKomplex - ein paar Schritte vom Hallesehen Tor - lassen 60 bunte Portraits ein wenig die Anonymität der Großstadt vergessen.

 

Auch Innenräume von Cafes oder Studentenwohnheimen und selbst Autos werden nicht verschont. Die Bildentwürfe werden erst auf Papier vorgezeichnet, danach frei aus der Hand, ohne Raster, aufgesprüht. Das gilt auch für riesige, bis zu acht Meter hohe Werke. Damit die bunten Bilder nicht gleich wieder abplatzen, muss der Untergrund sorgfaltig behandelt werden.

 

Wer sein Haus dekorieren lassen will, muss zuvor eine Genehmigung bei der Bauaufsicht des jeweiligen Bezirkes einholen. Das Besprayen denkmalgeschützter Gebäude verbietet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. An zentralen "Orten von gesamtstädtischen Interesse" wie am Gendarmenmarkt oder Unter den Linden, ist das Sprayen ebenfalls untersagt. Auch in den Bezirken muss "alles, was von der Norm abweicht" genehmigt werden. "Das Ortsbild darf - stellt, nicht beeinträchtigt werden", sagt Wolfgang Borowski, Leiter der Neuköllner Stadtplanung.

 

Neuköllns Kunstamtsleiterin Dorothea Kolland singt ein Loblied auf künstlerische Graffitis "Die werden mittlerweile in den tollsten Museen der Welt ausgestellt." Sie fordert deshalb die Bereitstellung von mehr freien Flächen. Bis es endlich soweit ist, will Christian nicht warten. Damit Jugendliche schon heute ihre Kreativität ausprobieren können, leitet er einmal pro Woche einen Graffiti-Workschop. Auf dem Gelände der Alten Feuerwache in Treptow. an der Grünauer Straße, wo sich auch das Atelier des Künsterpaares befindet, dürfen sie eine Mauer besprühen, ohne gleich saftige Strafen von der Polizei zu fürchten. Die Teilnahme ist kostenlos. Nur die Materialien muss jeder selbst mitbringen.

 

Die Sprayer haben längst die Künstler von heute beinflusst, wissen Dozenten der Hochschule der Künste (HdK). doch die Anerkennung bleibt ihnen bislang verwehrt. Selbst, wenn sich ein Sprayer als hochbegabt herausstellt, garantiert ihm das noch lange keinen Studienplatz. Im Gegenteil. Aufnahmekriterien für Graffitikünstler gibt es bislang nicht. Kunstprofessor Wolfgang Knapp bedauert das. Als er vor Jahren ein leidnschaftliches Plädoyer für die Graffiti-Kunst schrieb, hagelte es Drohbriefe von empörten Hauseigentümern, Unberechtigterweise. Denn die Erfahrung lehrt, dass kunstvoll besprühte Fassaden von Schmierereien meist verschont bleiben.

 

Das kann Hauseigentümer Michael Gröbler bestätigen: "Der durchschnittlische Schmierfink mag zwar bescheuert sein, dennoch hat er einen Ehrenkodex. Vorhandene Bilder lässt er in Ruhe." Mit Wandmalereien an von ihm verwalteten Gebäuden, hat Gröbler bisher nur positive Erfahrungen gemacht. Farbenprächtige Cafés übten eine regelrechte Magnetwirkung auf die Besucher aus. Auch finanziell kommt er auf seine Kosten. Denn Ausgaben für die Reinigung verschmierter Hauswände entfallen. Gröblers Appell an andere Hauseigentümer lautet deshalb: Mehr Mut zur Farbe!

 

Berliner Morgenpost