Größen der Graffiti-Szene vermarkten mittlerweile ihr Talent. Sie gestalten Hausfassaden und Autos. Und ihre Werke werden angeblich selten übermalt.
Wenn Frank Lämmer mit einer Spraydose in der Hand vor einer Fassade steht, braucht niemand die Polizei zu holen. Denn der 33-Jährige, einst als "Esher" eine Größe in Berlins Graffiti-Szene, arbeitet im Auftrag von Hauseigentümern. In jungen Jahren war er jeden Abend mit Dose und Edding unterwegs, um sich allen möglichen Flächen, die eine Großstadt so bietet, zu verewigen. Vom Straßenkid wandelte sich Esher zum selbstständigen Geschäftsmann, der in Kreuzberg eine Internetfirma betreibt und als Fassadenkünstler arbeitet.
"In Wendezeiten war das Sprayen längst nicht so stark kriminalisiert wie heute", erinnert sich Esher, dessen Künstlername an den bekannten holländischen Grafiker Maurits Cornelis Escher erinnert. "Man lief abends mit den Dosen offen rum." Nur ein einziges Mal sei er von einer Zivilstreife ermahnt worden, als er mit einem Freund einen Hauseingang beschriftete. Das "Delikt' sei aber folgenlos geblieben. Nach dem Mauerfall hatte sich sich im Ostteil der Stadt ein völlig jungfräuliches neues Revier geöffnet, "damals ging dann alles wieder von vorne los". Die Ost-Berliner seien den Sprayern neutral begegnet, die hatten zu jener turbulenten Zeit andere Dinge im Kopf, als Graffiti-Maler zu jagen.
Auch Christian Wahle war früher "in der Szene" unterwegs. Der Künstler namens "Lake", heute 28 Jahre alt, besprühte schon als 13-Jähriger Wände und "bewegliche Objekte", wie er es beschreibt. 1993 wurde er erwischt, bekam jedoch keine Strafe, weil er angeblich nur ein "kleinerer Fisch" war. Seit diesem Zeitpunkt will Lake nur noch legal gearbeitet haben. "Ich lernte Jana Lamprecht kennen, eine der wenigen Frauen unter den Künstlern, und wir machten eine Menge zusammen. "Die Szene sei ja sonst männlich dominiert, "das Machogehabe der meisten Typen schreckt die Mädels ab", sagt Lake. Sein erster Auftrag war die Fassade eines Jugendclubs, danach folgten Aufträge von Wohnungsbaugesellschaften, Agenturen, Läden und Vereinen. Eines der Werke, auf die Lake richtig stolz ist, ist die Fassadenbemalung am Mehringplatz. "Zu fünft bemalten wir eine Fläche von 3000 Quadratmetern mit Porträts, multikulturell und aller Altersgruppen."
Auf anderen Fassadenkunstwerken sind Affen zu sehen, die sich an Elefantenohren abseilen, bunte Clowns, die von grauen Mietskasernen strahlen, oder Wichtel, die die Berliner Mauer ansägen. Je nach Auftraggeber kalkuliert Lake Quadratmeterpreise zwischen 50 Euro und 100 Euro, bei großen Flächen gibt es Rabatte. Auch Fahrzeuge von Privatleuten werden von Lake gestaltet. "Manchmal geben mir Kunden ein Foto in die Hand, das ich abmalen soll, andere sagen einfach: Machen Sie was Schönes!" Sein Schwerpunkt ist die "Street Art" , die Straßenkunst, betont er. Er sei jedenfalls kein Graffiti-Künstler! Graffiti sei lediglich, eine bestimmte Richtung der Sprühkunst. Zusammen mit Gino Fuchs hat Lake vor kurzem einen Kunstband herausgegeben, der im Buchhandel zu kaufen ist. So etwas steigert natürlich den Marktwert: "Mit dem Buch kann man ganz schön Eindruck schinden", sagt der Straßenkünstler.
Ob schon mal jemand gewagt hat, seine Bilder zu übermalen? Angeblich wagt das niemand, weil Lake eine Berühmtheit ist. "Ich gebe sogar eine Garantie bei meinen Auftraggebern dafür ab. Falls doch etwas passiert, restauriere ich das Bild kostenlos."
Der Tagesspiegel